Jeder spricht davon, alle wollen es. Aber was genau ist das, was in der Berichterstattung so lapidar als „Recht auf Reparatur“ bezeichnet wird? Ab wann soll es für welche Produkte gelten? Werner Scholz, Geschäftsführer der Hausgeräteverbände im ZVEI beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema. Sein Verband warnt vor zu viel Bürokratie, Projekten mit wenig Nutzwert – und fordert, dass neue Regularien auch überprüft werden, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
INSIDE: Herr Scholz, Sie sind 1993 beim ZVEI, dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, als Elektrotechnik-Ingenieur zunächst als technischer Referent gestartet. Seit 2001 sind Sie Geschäftsführer der Fachverbände Elektro-Haushalt-Großgeräte, Elektro-Haushalt-Kleingeräte und -Hauswärmetechnik. Sie haben also schon lange Erfahrung mit den Diskussionen um Energie-Labels, nachhaltigeres Wirtschaften und Verbraucherrechte- und -wünsche. Recht auf Reparatur, dieses Thema werden Sie sicher ausreichend kennen. Was ist der Stand der Dinge beim Recht auf Reparatur?
Werner Scholz: Das Recht auf Reparatur wird in Deutschland bestimmt schon seit zehn Jahren diskutiert. Es gehört mit zu den Plänen und der Umsetzung der Ecodesign-Verordnung der EU, die auch unter dem Stichwort „Green Deal“ zusammengefasst wird. Der Green Deal, das sind einzelne Bausteine in unterschiedlichen Stadien, Stand jetzt, im April 2023 sind es insgesamt etwa 135 Initiativen. Für das, was als Recht auf Reparatur bezeichnet wird, sind drei Elemente wichtig: zum einen das erst im März verabschiedete EU-Papier „On common rules promoting the repair of goods“, also die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren, zum zweiten die „Ecodesign for sustainable products regulation (ESPR)“ und schließlich der Richtlinien-Vorschlag „Empowering consumers for the green transition“, der die Verbraucher im Hinblick auf den ökologischen Wandel stärken und einen besseren Schutz gegen unlautere Praktiken gewährleisten soll. Die beiden letztgenannten Richtlinien-Änderungen wurden im März 2022 veröffentlicht.
Das klingt ganz schön komplex. Sind das alles schon festgezurrte Regeln?
Ganz so einfach ist das leider nicht. Dass ESPR kommt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Da geht es um die Anforderung ans konkrete Produkt. Das Produkt muss also reparierbar sein, über eine gewisse Frist muss es Ersatzteile geben. Der Zugang zu Reparaturanleitungen muss möglich sein und so weiter. Das läuft und diese Anforderungen dürften peu à peu auf alles andere was Ecodesign-geregelt ist, übertragen werden, also nicht nur auf Hausgeräte, sondern auch Textilien, Teppiche, Möbel. Möbel stehen in der Prioritätenliste Brüssels ganz oben. ___STEADY_PAYWALL___ Aber das heißt nichts Konkretes. Es kann sein, im nächsten Jahr geht es los, es kann auch sein, dass Möbel erst in fünf Jahren unter ESPR-Regeln fallen werden. Das ist derzeit extrem schwierig zu sagen. Neben den Diskussionen zwischen Rat, Kommission und Parlament gibt es bei der ganzen Thematik auch das praktische Problem, dass in Brüssel ein gewisser Personalmangel herrscht. Es kann sich also einiges weiter verzögern, wenn es um die praktische Umsetzung geht.
Wie zufrieden sind Sie, was diese drei Regularien angeht, auf die sich die Industrie vorbereitet? Kann die Elektrogeräteindustrie gut damit leben, gibt es Verbesserungsvorschläge?
Die erste Säule, die Ecodesign-Produktanforderungen zu verbessern, die unterstützen wir. Mit Ecodesign leben wir ja schon seit 25 Jahren. Wichtig ist für uns als Industrie aber auch: An einen Geschirrspüler muss man andere Anforderungen stellen als an einen Backofen oder einen Staubsauger. Es braucht Augenmaß. Es muss auch europäisch harmonisiert sein, in der gesamten EU sollten die Anforderungen gleich sein. Das ist extrem wichtig. Schauen Sie nach Frankreich, wo nationale Regeln noch weiter gehen: Da gibt es etwa Kennzeichnung beim Einsatz von Plastikfiltern in Waschmaschinen – das wollen wir nicht. Beim „Empowering“-Vorschlag wiederum liegt der Fokus nicht auf dem Produkt, sondern auf Verbraucherinformationen wie einem Reparatur-Index. Da gibt es schon noch Klärungsbedarf.
Was ist da der springende Punkt?
Ein Repair Index wird kommen, ganz klar. Er regelt die Kennzeichnung der Reparierbarkeit am Point of Sale. Bereits jetzt haben wir ja das Energie-Label, mit dem beispielsweise ein Elektroherd im Geschäft gekennzeichnet wird. Ein neues Reparaturkennzeichnungs-Label benötigt sehr gute Kriterien. Es muss genau gemessen werden können, um einteilen zu können, ob ein Produkt gut, schlecht oder mäßig reparierbar ist. Wenn der Reparatur-Index gut gemacht ist, kann die Marktaufsicht das auch nachprüfen – und das muss sie aus unserer Sicht auch unbedingt. Unter diesen Voraussetzungen können wir uns mit einem Repair Index anfreunden. Es gibt da aber noch viele Diskussionen.
Zum Beispiel?
Eine davon ist die, ob der Ersatzteilpreis mit ein Kriterium für den Index wird. In Frankreich ist das aktuell so. Wir lehnen das aber ab, da sich Preise dynamisch am Markt entwickeln. Und Ersatzteile werden natürlich auch nicht nur über die Hersteller verkauft, sondern auch über andere Anbieter. Also, welchen Preis nehmen? – Das ist nur ein Beispiel für die derzeit sehr intensive Detail-Diskussion. Einen sich ändernden Preis zum festen Bestandteil eines Index zu machen wäre jedenfalls absolut nicht gut durchdacht. Wenn so ein Index für den PoS gedacht ist, kann man ihn auch nicht ständig ändern.
Was ist aus Ihrer Sicht der Nachteil, wenn sich ein EU-weiter Reparatur-Index am französischen orientieren würde?
Grundsätzlich arbeiten wir gerne mit – wir machen das auch seit geraumer Zeit. Wichtig ist für uns: Zwingend muss eine Marktüberwachung das alles überprüfen. Das Problem hatte ich erwähnt: Es gibt kaum die Kapazitäten dazu. Da niemand die Angaben überprüfen kann, wird dann der Wettbewerb verzerrt. Das ist unsere Befürchtung. Hinzu kommt, dass die gut gemeinte Idee zwar jede Menge Infos bietet, aber für neue Unübersichtlichkeit sorgt. In Frankreich habe ich mir die Auszeichnung der Geräte im Geschäft angesehen: Da hat ein Geschirrspüler auf dem Repair Index eine 8,2, ein anderes Modell eine 8,5. Aber, was mache ich mit dieser Information als Verbraucher? Man überfordert die Kunden damit insgesamt. Experten streiten darüber, ob so ein Index eine Wirkung hat oder ob nicht ein Großteil der Käufer am Point of Sale ihn sowieso nicht beachtet. Auch die Energielabel-Datenbank zeigt ja, was oft aus solchen Ideen wird. Sie ist mit dreijähriger Verspätung eingeführt worden, funktioniert immer noch nicht richtig – und interessiert auch keinen Verbraucher. In der Europäischen Union gibt es alleine schon etwa 8.000 Waschmaschinen-Typen, man kann als Verbraucher in der Datenbank filtern, vielleicht hat man dann 250 Suchergebnisse. Aber erstens sind keine Preise vermerkt, und man weiß nicht, ob die aufgeführten Modelle beim Händler der Wahl überhaupt vorrätig sind. Ein Riesenaufwand, viel Bürokratie – und null Nutzwert.
Was steht noch in dem Vorschlag?
Die Hersteller müssen künftig Softwareupdates anbieten, und es muss in einer Information auch erkenntlich sein, dass man als Kunde Softwareupdates erhält. Bei den großen Marken ist das auch überhaupt kein Problem. Die Angabe der Herstellergarantie am Point of Sale ist ein weiterer Vorschlag. Das wäre noch eine Zusatzinformation, möglicherweise noch ein neues Label. Der Rat – derzeit unter schwedischer Präsidentschaft – und das Parlament diskutieren derzeit, wie so etwas aussehen kann. Die eine Seite sagt, es reicht, wenn eine Herstellergarantie einfach angegeben wird, für zwei, drei oder vier Jahre. Das Parlament möchte ein X-plus-Y-Modell. Für Deutschland wären das: zwei Jahre Gewährleistung plus drei Jahre Garantie, am Point of Sale nebeneinander ausgeschrieben. Aber viele Verbraucher kennen nicht mal den Unterschied zwischen Gewährleistung und Garantie. Zugespitzt: Wenn man sich als Kunde über alles informieren will, dauert es mindestens einen halben Tag.
Aber, mit einer Garantie wirbt man doch auch gerne?
Eine 5-Jahres-Garantie überzeugt Kunden sicherlich. Wir haben auf dem Markt Hersteller, von denen wir ausgehen können, dass sie in acht oder zehn Jahren ganz bestimmt noch am Markt sind. Es gibt aber auch viele Spot-Geschäfte. Wer tritt für diese Hersteller ein, wenn sie nicht mehr am Markt sind? – Das X-plus-Y-Modell ist außerdem in jedem EU-Staat unterschiedlich, da die Gewährleistung unterschiedlich lang ist. Man müsste eigentlich auch hier harmonisieren. Das beschneidet aber auch wieder Vertragsfreiheit zwischen Herstellern und Verbrauchern. Auch hier ist also noch einiges nicht geklärt.
Wird es künftig mehr Reparaturen von Elektrogeräten geben?
„On common rules…“, das Regularium, das sich auf Ecodesign-geregelte Geräte bezieht, könnte aus unserer Sicht zu mehr Reparaturen führen. Zu einem Run wird es zunächst aber bestimmt auch nicht kommen. Der Fokus und das Bewusstsein werden mehr auf Nachhaltigkeit gelegt bei den Verbrauchern, das finden wir auch gut. Es sind viele Dinge enthalten, die heute eigentlich auch schon üblich sind. Beispielsweise auch nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistung einen Reparaturdienst anzubieten. Das ist für Miele, Bauknecht, AEG, Siemens und dergleichen heute selbstverständlich. Künftig wird es Pflicht, und zwar für alle Hersteller. Ob sie den Reparaturdienst selbst oder über Dienstleister anbieten, bleibt ihnen überlassen. Und sie dürfen dafür auch Entgelt verlangen.
Was sind die Herausforderungen für den Handel?
Für den Händler ist wichtig: Bisher kann der Verbraucher zwischen Reparatur und Ersatz wählen. Bei vielen Kleingeräten ist heute der Ersatz die am meisten eingesetzte Lösung, und der Verbraucher ist happy. Künftig muss repariert werden, wenn der Kunde das will. Der Händler muss dem Kunden dann nachweisen, dass eine Reparatur teurer wäre als ein Ersatz. Im österreichischen Handel wurden schon die Bedenken laut, dass man dann zwischen Kunden und Hersteller stehe. Wir sagen, das Maß der Verhältnismäßigkeit soll auf jeden Fall gewährleistet werden. Dann gibt es auch innovative Ideen, etwa eine Onlineplattform, auf der Anbieter von Refurbished-Ware zu finden sind. Die Plattform soll eine Art Matchmaking ermöglichen. Auch ein EU-einheitlich standardisiertes Formular für Kostenvoranschläge bei Reparaturen ist im Gespräch.
Auch der Bund will beim Recht auf Reparatur Impulse setzen. Was ist der Stand dort?
In Berlin könnte ab Mai die Initiative „Reparieren statt Wegwerfen“ im Bundeskabinett verabschiedet werden. Eine Infokampagne und eine Webseite und verschiedene weitere Maßnahmen sollen das Bewusstsein aufs Thema Reparaturen legen. Die Initiative dürfte kommen und wir unterstützen sie auch. Eine konkrete Kampagne wird es 2023 aber wohl nicht mehr geben. Die Reparatur-Initiative der Bundesregierung kann sich durchaus auch auf andere Produkte beziehen, für die dann eine verpflichtende Reparatur gelten würde. Bislang wurde die Vorlage im Kabinett bereits viermal verschoben.
Electrolux hat nun das Ziel ausgerufen, etwa 15 Prozent seines Umsatzes im After-Sales-Market zu erwirtschaften, unter anderem mit Reparaturen. Auch Refurbished-Shops werden beliebter. Ein Weg für alle in der Branche?
Es wird mehr Reparaturen geben. Ob es so weit kommt, dass Firmen mehr reparieren und dafür weniger produzieren, das ist noch ungewiss. Klar ist aber auch: Viele Hersteller denken derzeit intensiv über ihre Geschäftsmodelle nach. Und ich kann mir schon vorstellen, dass Services und After-Sales eine andere Gewichtung bei großen Marken bekommen werden. Auch auf der kommenden IFA, bei der Nachhaltigkeit das Top-Thema ist, könne man sich entsprechende Bekanntmachungen aus der Branche vorstellen, etwa wenn es um Mietmodelle und Ähnliches geht. Will ein Hersteller mit refurbished Geräten Geld verdienen, muss er allerdings viele Geräte aus dem Markt zurückbekommen. Dadurch sind in der Vergangenheit schon manche Gehversuche in diese Richtung ins Stocken geraten.