- Schlagzeile: Fürs neue Wirtschaftswunder
- H1: Mo Drescher: Arbeiten fürs neue Wirtschaftswunder
Manchmal ist die Unzufriedenheit eine ständige, schlecht gelaunte Begleiterin, die man immer wieder wegdrückt, um sein Leben einfach so weiterzuführen. Denn würde man auf die innere kritische Stimme hören, bedeutete dies Anstrengendes: Veränderung und Unsicherheit. So muss es auch Marc-Oliver Drescher vor 20 Jahren eine Weile ergangen sein. Seit 1995 arbeitete er als Werber, stolz darauf, dass er „von Werbelegende Uli Wiesendanger (TBWA) entdeckt wurde“. Kunden waren große Marken wie Absolut Vodka, Lucky Strike, Mercedes-Benz, McDonald´s und viele andere. Die 90er Jahre waren eine gute Zeit für Werbeagenturen und ihre sogenannten Kreativen. Begeistert schaute ein großes, auch branchenfremdes Publikum etwa die „Cannes Rolle“, eine Spotsammlung, die ausgezeichnete Werbung zum Kult oder sogar zur Kunst erhob. Und richtig gutes Geld verdiente man auch.
Ein tolles Leben. Trotzdem zog Drescher 2008, plötzlich und für ihn selbst überraschend, den Schlussstrich. Ein Eklat – mitten in einem großen Meeting einer bekannten deutschen Agentur kündigte er vor allen seinen Job: „Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes die Schnauze voll. Schon wieder sollte ich für ein wenig intelligentes Produkt, das die Welt nicht brauchte und das Ressourcen unnötig verschwendete, kreativ sein. Plötzlich war mein Zynismuskonto einfach voll.“ Seine Arbeit erschien ihm sinnlos, er habe keine Freude mehr an seinen Beruf gehabt, sagt er. Ein Neustart musste her. Wohin es nun gehen sollte, wusste er nicht, nur eines: „Ich wollte keinen Beitrag mehr dazu leisten, dass unsere Lebensgrundlagen weiter zerstört werden.“
Fürs Interview mit INSIDE ist Drescher aus seiner Heimatstadt Berlin ins sonnige München gereist. Die Barlegende Schumann‘s hat er als Treffpunkt vorgeschlagen, doch nach dem Lunch ist dort Schichtwechsel und so ist er zwei Häuser weitergezogen. „Sitze im Tambosi hinten im Schatten, weißes T-Shirt“, schickt er eine SMS, mit seinem langen Vollbart ist er dann nicht zu übersehen. Nachhaltigkeit, das ist jetzt seine Berufung. Mit seiner eigenen Agentur MODC berät er seit 2010 Unternehmen verschiedenster Sparten, wie etwa Bugatti, Hermès, Marantec, McDonald´s, Ricola zu ökologischer Wirtschaftlichkeit und einer „sinnstiftenden Kommunikationsstrategie“.
Er arbeitet mit der von ihm entwickelten InnovationPositive- Methode: Statt Greenwashing durch zum Beispiel CO2-Ablasszahlungen oder beschönigende Reklame für nicht wirklich umweltfreundliche Produkte, sollen Luxus-, Lifestyle- und mittelständische Familienunternehmen Nachhaltigkeit als einen Kulturwandel begreifen, sich so verändern, dass sie im Einklang mit der Natur arbeiten. „Wir erleben eine Zeitenwende, viele von uns wissen, wir können nicht mehr so weitermachen. Keine leichte Situation für niemanden von uns.“
Auch seine eigene Transformation 2008 ging nicht sofort steil und lief alles andere als glatt, die Gründung einer neuen Agentur mit zwei Werber-Kollegen scheiterte nach kurzer Zeit und Umweltschutz wurde damals von vielen Unternehmen noch lange nicht als Notwenigkeit gesehen. Drescher war auf der Suche nach dem richtigen Weg, da bat ihn eine Unternehmerin, ihr bei einer Präsentation zu helfen. Sie fragte, ob er mit ihr an einem Konzept für eine Cradle-to-Cradle-Messe arbeiten könnte: „Cradle? Ich hatte noch nie etwas davon gehört.“ Er las „Cradle to Cradle“ von Michael Braungart. „Ein Buch, das Brad Pitt zu den fünf wichtigsten Büchern zählt, Arnold Schwarzenegger zu einem Ambassador gemacht hat“, sagt er begeistert. Dieses Buch sei sein Aha-Moment gewesen, damit konnte er in seinem Beruf wieder einen Sinn sehen.
„Wir machen die falschen Dinge perfekt und damit nur perfekt falsch“, ist das Motto des deutschen Umweltpioniers Braungart, Gründer von Braungart EPEA, einem internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitut in Hamburg. Eine Initiative gegen die Wegwerfgesellschaft, für konsequente Kreislaufwirtschaft. Ökologisch ist nur, was wiederverwertet wird. Drescher ist mittlerweile Ambassador: „Qualität sollte bedeuten, Produkte so herzustellen, dass sie profitabel für Unternehmen, begehrenswert und bezahlbar für Verbraucher sind, dabei weder dem Menschen noch der Umwelt schaden“, das findet er angesichts des fortschreitenden Klimawandels überhaupt nicht utopisch. Und er hat Beispiele von Unternehmen, die Cradle-to-Cradle erfolgreich umgesetzt haben. Etwa das holländische Unternehmen Desso, das ein Vorbild für die Möbelindustrie sein könnte. Dort werden Teppichböden durchweg ohne giftige Chemikalien hergestellt, mit positiven Auswirkungen auf das Raumklima in den Wohnungen. Zudem seien alle Produkte so konstruiert, dass jedes Material immer wieder neuen Kreisläufen zugeführt werden kann. Jeder Rohstoff wird zu neuen Teppichen verarbeitet oder für andere Produkte verwendet.
Bei seinen Kunden beginnt er die Beratung mit dem Workshop „Öko kills the world”. Dabei ist es ihm wichtig, die Mitarbeitenden als Change-Agenten einzubeziehen und zu ermutigen, Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die mit der Natur arbeiten. Erst im zweiten Schritt wird eine externe Kommunikationsstrategie aufgebaut, Werbung, die Kunden eines Unternehmens zu Fans machen soll. Die Zeit der schönen Slogans für schlechte Produkte ist für ihn vorbei. Besorgt ist Drescher, „dass Deutschland wieder auf dem besten Wege ist, eine große Chance liegenzulassen“. Statt Neugier, Offenheit und Mut für notwendige Transformationen erleben wir hierzulande zu oft kleinliche Grabenkämpfe. Grundsätzlich rede er aber mit allen Unternehmen, auch den Unentschlossenen, den Skeptikern, den Ängstlichen und den Neinsagern. „Ich will einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Gesellschaft sich nicht länger spalten lässt, sondern sich als Team versteht, das Großartiges für eine lebenswerte Zukunft bewegen kann.“



