Man muss heutzutage mit allem rechnen, immer und ständig. „Das Dauerhafte ist Vergangenheit, es ist vorbei. Auch wir Unternehmer müssen uns darauf einstellen, in einem ständigen Provisorium zu agieren, vielleicht für sehr lange Zeit, vielleicht für immer“, sagt Marc Eckert. Outsider Simon Feldmer war mit dem Bulthaup-Inhaber Anfang Juli ein Wochenende im Engadin. 16 Kilometer ging`s rauf und runter, immer die beeindruckenden 4.000er im Blick: von der Mittelstation am Corvatsch über die Fuorcla Surlej zur Coaz-Hütte, vorbei am Roseg-See, an dem Eckert und der Outsider nach einem langen Tag in den Bergschuhen gerne eingeschlafen wären. Auf den letzten Metern dann dank charmanter Hüttenwirte in einem alten Suzuki Swift bis nach Pontresina. Seitdem ist viel passiert. Eine historische Krise ist auf dem Weg. Keiner weiß, was kommt. Und über allem steht die große Transformation. Eckert: „Es werden in Zukunft nur die wirklich nachhaltigen Unternehmen bestehen können.“
Von Simon Feldmer
„Die Musik hat aufgehört zu spielen. Wir stehen vor so fundamentalen Veränderungen, wie wir sie alle noch nicht erlebt haben.“ Es ist der 2. Juli. Marc Eckert, 51 Jahre alt, Hauptgesellschafter der Bulthaup GmbH & Co KG im niederbayrischen Aich, und der Reporter sitzen auf der Fuorcla Surlej. Wir haben die ersten Höhenmeter hinter uns. Wir machen eine kurze Pause mit Blick in die Engadiner Bergwelt.
Ein Kaffee, ein erstes rettendes und gut gekühltes Sprudelwasser mit Zitrone. Es hat schon 30 Grad um 10 Uhr am Vormittag. Ein Bergmarathonläufer nach dem anderen kommt vorbei. Die ersten unfassbar schnell, die hinteren tapfer schnaufend und immer noch scheinbar kompromisslos gewillt, das Ding zu Ende zu bringen. Rund um den Corvatsch, rund um diese massive Erhebung bei Sankt Moritz, geht das Rennen. Eckert und der Reporter haben etwas anderes vor. Keinen Bergmarathon, aber ein Marathongespräch. Über die Welt, die Wirtschaft – und Bulthaup. Über diese Marke, die in Deutschland wohl eigentlich jeder kennt. Und von der fast jeder glaubt, dass er sie sich nie leisten können wird. Vielleicht ist das genau das Thema, um das es eigentlich geht an diesem Tag. Schon beim ersten Kaffee ist klar: Der Weg, den Eckert sich vorgenommen hat, ist viel weiter als der bis Pontresina.
Für wen gibt es eigentlich Bulthaup? Für die Elite? Die Reichen? Für die Bulthaup-Mitarbeiter? Oder für die Unternehmerfamilie, also für Eckert? Für wen gibt es Bulthaup, Herr Eckert? Eine gemeine Frage, denn der Reporter weiß, dass Eckert nichts so sehr hasst wie das Gerede über Luxus, über Produkte für die oberen Zehntausend. Für wen gibt es also Bulthaup? Eckert: „Es geht nicht darum, für wen es Bulthaup gibt. Es geht um die Frage, wer mit Bulthaup was verbindet. Und ich würde mir wünschen, dass jeder, der ein gutes Lebensgefühl mit der Marke Bulthaup verbindet, es sich auch leisten kann, sich diese Welt nach Hause zu holen. Und wenn es nur ein Schneidebrett und ein Messer von uns sind.“
Wir schauen auf 4.000er, auf Gletscher, die keine mehr sind. Hinter den Bergen liegt irgendwo Italien. Die ganze Dramatik der Energiekrise ist in Sicht, aber noch nicht so massiv da Anfang Juli. Eckert macht sich Sorgen. Um den Standort Deutschland, um den Mittelstand. Wir sprechen über die Auswüchse in Konzernen wie Lufthansa oder sonstwo, wo Manager mit Fünfjahresverträgen ausgestattet mehr an sich und ihre Boni denken als an die Mitarbeiter.
Unternehmergespräche in diesen Zeiten sind Krisengespräche. Gespräche über das, was kommt. Was alles nicht mehr so ist, wie es mal war. Eckert ist Volljurist, hat viele Jahre als Anwalt gearbeitet. Schwerpunkt Wirtschaftsrecht. Mit 38 Jahren ist er in Aich als Geschäftsführer eingestiegen. 2009 an einem Montag im Oktober war das. Bulthaup, die Topmarke unter den deutschen Küchenmarken, sie war in einer tiefen Krise.
Über Generationen war Bulthaup zu dem geworden, was Bulthaup noch heute ist. Gegründet von Martin Bulthaup im Jahr 1949 als Martin Bulthaup Möbelfabrik. Vom kongenialen Duo Otl Aicher und Gerd Bulthaup in den 80er Jahren unsterblich gemacht. Eigentlich. Denn 2009, da war in Aich Krise, große Krise. Nach vielen externen Managern hatte die Familie sich entschieden, besser gesagt, Eckert hat sich entschieden, es zu machen. Er ging nach Aich, vor genau 13 Jahren. „Für mich war klar, wenn ich das mache, dann nach meinen Regeln und Überzeugungen“, sagt Eckert heute. „Das war ein All-in mit Haut und Haar.“
140 Mitarbeiter mussten entlassen werden. Und die verbliebenen Mitarbeiter glaubten nicht mehr an die Zukunft. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Ist noch nicht so lange her. Als Eckert auf dem 1. INSIDE Branchen-Gipfel – im Dezember 2016 war das – im Literaturhaus auf der Bühne stand, hat ein anderer Podiumsgast (es war der heutige Nolte-Geschäftsführer Oliver Bialowons, damals als Hülsta-Sanierer am Start) gesagt, er zeige seinen Gesellschaftern immer die Bulthaup-Bilanz, wenn er ein Paradebeispiel für gute und verantwortungsbewusste Führung aufzeigen wolle. Das war sieben Jahre nach der großen Krise in Aich. Eckert hatte sie in zwei Jahren pulverisiert. Schon 2011 konnte Bulthaup wieder eine Top-Bilanz vorlegen. B1 war auf den absoluten Kern reduziert, ein neues Führungsteam gebaut. Eckert hatte sich in kurzer Zeit viele Freunde und auch einige Feinde gemacht.
Heute beschäftigt der Küchenhersteller im lohnintensiven Bayern mehr Mitarbeiter als vor den tiefen Einschnitten in der Bulthaup-Krise 2009. 650 sind es. Und Eckert setzt alles daran, dass diese Mannschaft auch durch die nächste Krise kommt. „Das bewegt mich, dafür kämpfe ich. Und dafür stelle ich alles in Frage, wirklich alles.“ Sagt Eckert. Der Kaffee ist leer. Wir schnallen die Rucksäcke auf. Die Bergschuhe fangen an zu drücken. Wir haben noch gut 15 Kilometer Wegstrecke vor uns, nicht steil nach oben, eher auf 3.000 Meter immer wieder rauf und runter. Mitten durchs Paradies. Um uns herum die Berge, aber eigentlich die Welt, wie sie ist. Kompliziert, vielfach einfach nur scheiße. Krieg, Klima, was für eine Zukunft für unsere Kinder: Themen, die uns den ganzen Tag treiben.
Vielleicht muss man für ein Gespräch, um es so gnadenlos offen zu führen, dass man vieles davon nicht aufschreiben will in einer Welt, in der jede Äußerung, jede vielleicht zu pointierte Aussage, im öffentlichen Diskurs zerrissen wird, vielleicht muss man für so ein Gespräch wirklich lange wandern. Die Berge im Oberengadin kann der Reporter für so eine Tour auf jeden Fall empfehlen. So schön wie hier ist es an nicht vielen anderen Orten auf diesem Planeten. Und Eckert, der Markenpoet und harte Unternehmer, ist ein Typ, den es auch nicht zwei Mal gibt. Langeweile-Sätze und Allerwelts-Phrasen: Sind nicht sein Ding. Langweilige Fragen sind es auch nicht. Eckert nimmt sich, auch wenn ihm das manchmal unterstellt wird, nicht wichtig. Er ordnet alles einem Ziel unter: die Marke Bulthaup für die Zukunft zu sichern.
Dieses Ziel kann man sicher auf verschiedenen Wegen erreichen. Eckert hält es mit Miles Davis. „Man, sometimes it takes you a long time to sound like yourself.” Eine Miles-Davis-Zeile ist Eckerts Leitmotiv. Eckert macht es, wie er es für richtig hält. Heute. Nach bald 13 Jahren Bulthaup. Das kann der eine blöd finden unter den vielen Machern im Küchenmarkt. Andere halten den Weg vielleicht auch für falsch. Eckert kann aber nur so. „Ich bin, wie ich bin. Mich haben immer Unternehmer begeistert, die ihren eigenen Weg gehen“, sagt er. Und am Ende zählt, was in der Bilanz steht. Bulthaup hat dank Eckerts Koordinatensystem beeindruckende Jahre hinter sich. Und Bulthaup hat, wenn man das so sagen kann, ohne zu sehr mit großen Worten zu spielen, einen Unternehmer an der Spitze, der eine Vision hat. „Wir sind kein Spanplattenverarbeiter, und die Marke Bulthaup ist kein Label, sondern eine Idee, eine Idee für die Küche der Zukunft.“
Die Küche der Zukunft, sie steht für Eckert nicht allein in der Küche. „Wir müssen die Küche von der Architektur lösen, wir müssen sie aus dem klassischen Denken in Küchenblöcken lösen. Die Küche der Zukunft, sie findet überall statt, wo die Menschen zu Hause sind“, sagt der Bulthaup-Chef. Die Küche der Zukunft muss für Eckert auch nicht aus Holz sein. In Aich arbeitet man an Alternativen zur Spanplatte. „Und die Küche der Zukunft ist nicht ein Bild von einer weißen Küche in einer weißen Villa. Oder in einem modernen Industrial-Ambiente. Wir müssen wieder mehr darüber nachdenken, wofür die Menschen eine Küche wirklich brauchen – und nicht mehr so viel darüber, wie sie an der Oberfläche aussieht.“ Der einzige Sinn von Design sei heute, sagt Eckert, den Menschen Stress zu nehmen, ihnen das Leben wohliger zu machen, sie zu entlasten.
Mit solchen Sätzen können so manche im Küchenmarkt wenig anfangen, die ihre Rezepte in den vergangenen Boomjahren perfektioniert haben, die sich von Plus zu Plus geschraubt haben. Aber das ist dem Bulthaup-Boss herzlich wurscht. Natürlich muss auch Bulthaup Umsatz machen, Geld verdienen, Küchen verkaufen. An die 9.000 Küchen werden im Jahr in Aich produziert, viel ist automatisiert, viel noch Handarbeit. Doch wenn es Eckert je um Umsatz gegangen wäre, dann hätte er viele Möglichkeiten gehabt, ihn zu machen.
Da gab es mal die ausgearbeitete Idee, ins absolute Luxussegment zu gehen, vor eben 13 Jahren. Das Konzept war fertig. Eine Küche ab 150.000 Euro aufwärts wäre bei dem Plan herausgekommen. „Wir wären eine Oligarchenmarke geworden“, sagt Eckert heute. Er hat die Idee damals schnell abgesägt, als er da war. Eckert hat oft Nein gesagt, für viele Mitstreiter nervigerweise wohl wirklich sehr oft. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat er sich gegen die große Expansion in China entschieden. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Aber irgendwann war mir klar. China kann nicht unsere große Zukunft sein. China ist ein Markt, aber nie unser Hauptzielmarkt.“ Bulthaup ist lieber klein geblieben, wenn man das über ein Unternehmen, das weit über 100 Mio Umsatz macht, so sagen kann. Besser: vergleichsweise klein. Eckert: „Aber wir sind beweglich, flexibel, auf dem Weg, immer autonomer zu werden. Unser Netzwerk ist unser Netzwerk. Es besteht aus unseren Lieferanten, unseren Ideen und unseren Mitarbeitern, unseren Partnern im Handel und unseren Monteuren und Kunden. Nur so haben wir eine Chance.“
Der Weg führt mittlerweile nach einem Hüttenstopp auf der Coaz mit Blick auf den abgeschmolzenen Roseg-Gletscher hinunter zum Roseg-See. Die Schuhe drücken. Wir sind nahezu alleine unterwegs, über Stunden kommt uns kein anderer Wanderer entgegen. Thema Partner im deutschen Handel. Eckert weiß selbst, dass er hier bei 80 Prozent Exportquote als deutsche Marke eine offene Flanke mit sich herumträgt. Und er gibt das auch zu. „Wir sind in unserem Heimatmarkt zu wenig sichtbar. Das müssen wir und das werden wir ändern.“
Rund 80 Partner hat Bulthaup in Deutschland. Für eine Marke mit dieser Strahlkraft ist das zu wenig. Der Reporter erzählt die Geschichte, dass ihn seine erste Freundin viele Jahre später angerufen habe, weil sie im Flugzeug neben Gerd Bulthaup gesessen ist. Bulthaup: So viele deutsche Marken mit dieser Aura gibt es nicht. Eckert weiß das. Klar. Umso mehr stellt sich die Frage, weshalb Bulthaup in Deutschland nicht viel stärker ist. Eckert sagt, eine Marke wie Bulthaup sei im eigenen Land Fluch und Segen zugleich. Man habe auf der ganzen Welt alle Chancen, versuche immer im richtigen Moment auf den Märkten dieser Welt das Richtige zu machen. Der Heimatmarkt, er ist dann vielleicht manchmal gedanklich zu nah, um genug Neugierde zu binden? Eckert widerspricht, nur so halb.
An der Sichtbarkeit in Deutschland hat auch die Bulthaup-Strategie der letzten Jahre ihren Anteil. Ein Bulthaup-Händler muss die Bulthaup-Idee leben. Sagen wir es so: Er darf nicht nur Bulthaup-Küchen verkaufen. Er darf sich in Eckerts Augen vor allem nicht mit Bulthaup nur schmücken. Es hat deshalb immer mal wieder gekracht, zwischen Eckert und Bulthaup-Händlern, heute dann meist ehemaligen. Und das findet im Fachhandel dann eben so mancher auch nicht so gut. Eckert weiß das. Und sagt: „Wir setzen konsequent auf Qualität statt auf Quantität. Unsere große Herausforderung ist, die neue Generation von Bulthaup-Partnern zu finden, die anders, die ums Eck denken, die agil und die bereit sind, die Dinge im Handel anders zu machen, die eingetretene Pfade verlassen.“
Weltweit hat Bulthaup heute 300 Partner. Auf dem US-Markt sind die Aicher die Nummer 1. In vielen Märkten hat Bulthaup eine Zugkraft wie kaum eine andere der deutschen Küchenmarken. Der Bulthaup-Chef weiß, dass er sich davon alleine in Zukunft nichts mehr kaufen kann. Eckert: „Früher haben die Großen die Kleinen gefressen, dann die Schnellen die Langsamen. Morgen fressen die Nachhaltigen die, die nur so tun, als wären sie es.“ CO2-Bilanzen werden über Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden in Zukunft, sagt er. Entsprechend will Eckert mit seinem Team an seinem Unternehmen arbeiten, nicht nur im Unternehmen.
Wir sind auf den letzten Metern, kurz vor der Hütte am Roseg-See. Dort wollen wir uns Fahrräder mieten, die letzten zehn Kilometer nach Pontresina radeln. Wir setzen uns. Eckert bestellt ein Glas Lieblingsweißwein, der Outsider erstmal ein großes Bier. Fahrräder gibt es an diesem Abend nur keine mehr zu mieten. Der nette Hüttenwirt fragt seine Tochter, ob sie die beiden Münchner später den Feldweg bis runter nach Pontresina fahren könnte. Er selbst muss bedienen, kochen. Wir essen, trinken noch einen – und steigen ein. Es kommt anders als ursprünglich geplant. Auto statt Fahrrad. Wie kann man so etwas heute gut finden. Doch es wird eine kuriose Fahrt – einen auch durch die Fenster des alten Suzuki paradiesischen Weg entlang. „Menschen suchen einen Ort, der eben nicht immer nur perfekt ist“, hatte Eckert zehn Stunden davor gesagt, als der Tag losging. Alles immer nur perfekt, ist auch in der Küche langweilig. Und viel zu wenig in der für alle so unvorhersehbaren Zukunft.
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