Otto

Wie KI beim Forecasting hilft

04. Mai 2023, 16:20

Für künstliche Intelligenz ist es eine halbe Ewigkeit: Seit vier Jahren bereits setzen sie beim Onliner Otto KI im Forecasting ein. Jan Filler, in Hamburg zuständig für den Möbelbereich, und Tobias Föse, Senior Product Owner AI Forecasting, erklären im INSIDE-Interview, an welchen Stellen das Sinn macht und – platt gesagt – was KI bei Otto kann.

INSIDE: Herr Filler, Herr Föse, Meteorologen sagen, eine Prognose über mehr als eine Woche ist unseriös. Über welche Zeiträume können Sie bei Otto zuverlässige Prognosen treffen?

Tobias Föse: Eine Prognose ist der Versuch, aus der Vergangenheit zu lernen und Ableitungen für die Zukunft zu treffen. Im Handel schauen wir einzelne Artikel an und analysieren zum Beispiel, wie und wie oft diese gekauft werden und wie sich Vertriebsmaßnahmen darauf auswirken. Wir versuchen außerdem, gezielt Situationen herzustellen, die bereits zu einer stärkeren Nachfrage geführt haben – zum Beispiel aufgrund von Preis und Sichtbarkeit. Das funktioniert bereits sehr gut, wir machen das täglich für rund zwei Millionen Artikelpositionen, und zwar bis zu 450 Tage in die Zukunft.

Wenn es nicht funktionieren würde, würden Sie es wahrscheinlich nicht machen?

T.F.: Das stimmt. In der Vergangenheit gab es mit der Pandemie oder dem Angriffskrieg auf die Ukraine aber auch Ereignisse, die nicht vorhersehbar waren und die es so noch nicht gegeben hat. In solchen Situationen Prognosen abzugeben, ist wiederum sehr schwer.

Wird Forecasting bei Otto komplett über die KI betrieben? Wie viel Mensch ist noch im Einsatz?

T.F.: Es kommt auf den Einsatzzweck an: Der Mensch, seine Erfahrung und persönliche Kommunikation bleiben in vielen Bereichen wichtig. Wir setzen das Forecasting im gesamten Prozess ein – von der Sortimentierung bis zur Auslieferung an den Kunden. Denn mit Hermes als Partner im eigenen Konzern bedient Otto die gesamte Wertschöpfungskette. Bei manchen Tätigkeiten geht es um Automation, bei anderen assistiert und unterstützt die KI.

Gab es bereits einmal Prognosen, die gar nicht gestimmt haben?

Jan Filler: Ja, die gab’s. Diese Systeme funktionieren nur mit den Daten, die sie haben. Kritisch hinterfragen kann KI nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch unsere Marktexpertise einbringen.

Wie ist die Akzeptanz im Unternehmen?

___STEADY_PAYWALL___T.F.: Die Einführung einer Prognose ist mit einem großen Wandel im Unternehmen verbunden. Die Sortimentsgestaltung ist nun kundeninitiiert. Der Kunde bestimmt durch sein Verhalten, was ins Sortiment geht. Durch den Einsatz von KI sind wir in der Lage, Prognosen für Produkte zu erstellen, die noch gar nicht im Sortiment sind. Das führt dazu, dass Mitarbeiter nicht einfach so weiterarbeiten können wie bisher. Erklärbarkeit und Vertrauen spielen hier eine große Rolle. Man kann zeigen, ob Prognosen funktionieren, indem man ein Jahr zurückblickt, eine Prognose erstellt und diese dann mit dem Ist-Status vergleicht. Das führt auch zu Vertrauen. Es ist ein sehr langer Prozess. Vor vier Jahren haben wir mit dem Team begonnen, das Forecasting aufzubauen. Wir haben es zuerst in der Logistik eingesetzt.

Herr Filler, was bedeutet das Forecasting in der Praxis, beim Messebesuch zum Beispiel? Müssen die Produkte zunächst in Hamburg gecheckt werden, bevor eine Unterschrift darunter kommt?

J.F.: Wenn wir auf eine Messe gehen, nutzen wir unsere Daten. Wir wissen, wo wir im Sortiment aus Kundensicht noch nicht gut aufgestellt sind. Diese Flanken schließen wir dann, indem wir unsere Lieferanten – oft bereits im Vorfeld – darauf ansprechen. Vom Hersteller werden meist auch Informationen dazu geteilt, welche Produkte besonders gut angenommen

werden. Diese Infos kombinieren wir mit unseren und kommen so zu neuen Produkten.

Nutzen Sie denn ausschließlich eigene Daten oder auch Daten aus dem Markt? Wenn sich jetzt zum Beispiel rote Sofas immer gut verkauft haben und plötzlich ist Grün Trend, kann man ja eigentlich nicht die Datenbasis vom letzten Jahr nehmen.

J.F.: Wir nutzen alle relevanten Daten, die wir bekommen können. Wir nutzen unter anderem auch Daten von Google. Wenn dort besonders häufig nach einer Farbe oder nach einem bestimmten Stichwort gesucht wird, handeln wir dementsprechend.

Was macht man dann? Den Forecast um 20 Prozent reduzieren?

J.F.: Als die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg auf die Ukraine in Europa begann, lagen uns keine Daten aus einer ähnlichen Situation in der Vergangenheit vor, auf die wir uns hätten beziehen können. Hier bleiben der Mensch und sein Wissen und seine Erfahrungen wichtig, um verschiedene Einflussfaktoren einschätzen zu können. Hier ging es um Gefühle und Ängste von Menschen. Emotionen sind durch das System und die Daten nicht abbildbar. Wir haben versucht vorherzusagen, wie sich Menschen im Allgemeinen in einer Krise verhalten. Dazu haben wir Erfahrungen aus der Vergangenheit.

T.F.: Wir gehen tatsächlich von pessimistischeren Daten aus. Gewisse Artikel werden zu gewissen Zeiten besonders stark nachgefragt: ein Fleece-Pulli zum Beispiel, der wird häufiger im Winter gekauft. Man kennt die Verkaufskurve, aber die Menge verändert sich. Es gibt aber auch Artikel, die in Krisenzeiten stärker nachgefragt werden.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Notstromaggregate. Oder Öfen, Radiatoren.

 

Kann man denn beziffern, wie sehr sich die Prognosen seit der Einführung von KI verbessert haben?

T.F.: Diese Bewertung ist für die vergangenen Jahre schwierig, weil man mit der Pandemie und dem Krieg in Europa zwei sehr außergewöhnliche Effekte hatte.

Gibt es schon Anfragen von Lieferanten, ob man zusammenarbeiten kann bei den Forecasts?

J.F.: Wir haben alle das Interesse, einen guten Job zu machen, damit wir in der Leistung zum Kunden hin noch besser werden. Wir bauen gerade ein Portal auf, über das Lieferanten mit uns interagieren. Dort werden wir Analytics zur Verfügung stellen. Lieferanten können dann in die Forecasts schauen und bereits mit ihrer Produktionsplanung beginnen. Heute schicken wir noch eine Excel-Tabelle per Outlook – das wird sich ändern. Der Lieferant kann dann auch sehen, wie die Conversion Rate seines Artikels ist – wir beraten unsere Partner, wie sie verbessert werden kann.

Herr Filler, als Ihnen vorgestellt wurde, dass man künftig mit KI arbeitet, wie war Ihre Reaktion?

Das ist bereits sehr viele Jahre her. Ich war anfangs durchaus kritisch und wollte beweisen, dass ich es aufgrund meiner Erfahrung besser kann. Eigentlich wurde ich aber immer eines Besseren belehrt. Als ich vor gut 21 Jahren bei Otto gestartet bin, hatten wir noch Dispokarten-Drucker, um die Warenbewegungen täglich festzuhalten. Als Disponent hast du dir die Karteikarten genommen und im Dreisatz hergeleitet, was gebraucht wird, um in den nächsten Wochen liefern zu können. Das war relativ simpel. Heute ist die Welt eine ganz andere. Die Anfordernisse steigen mit der Komplexität des Geschäftsmodells. Eine Plattform mit eigenem Handelsgeschäft ist sehr komplex, insofern brauchen wir eine gute Prognostik – und ich bin froh, dass wir sie haben.

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